Was ist Budō?

Wir trainieren im Dunkeln, wir tun unser Bestes um das Unwissen zu bekämpfen weil es uns sonst zerstören würde. Aber wenn der Charakter eines Menschen sein Schicksal ist, dann ist  Budō keine Wahl sondern eine Berufung. Manchmal jedoch lässt uns das Gewicht dieser Bürde ins stolpern geraten, dringt in die zerbrechliche Festung unseres Geistes ein und bringt die Monster von ausserhalb dazu, sich nach innen zu wenden. Und wir werden am Abgrund stehend allein gelassen...und starren in das lachende Gesicht des Wahnsinns...

 

Wir dürfen eines  nicht aus den Augen verlieren. Egal, in welchem Feld der Kampfkunst wir uns bewegen: Es entspricht niemals der einer echten Situation. Das gilt für Iaido, aber auch für Krav maga und Co. Denn eines ist sicher: Egal, wer wann wo gegen welche Gegner antritt: Jeder wird innerhalb seiner ganz persönlichen Grenzen agieren. Ein Karateka, der seit 40 Jahren seinen Sport betreibt, oder ein Krav Maga Kämpfer mit denselben Voraussetzungen werden niemals gleich reagieren. Sozailisierung, Einstellung, persönliche Gegebenheiten wie Mut, Trotz, Jähzorn und Artverwandte werden immer, immer mitspielen! Und doch... ein unbedarfter Mensch hat (rein theoretisch) mit Ausbildung und/oder Waffen eine erheblich größere Überlebenschance. Wie die betreffende Person dann reagieren wird, weiß nur Hugo. Der limbische Teil unseres seit Urzeiten existierenden Flucht-Triebes sagt immer: Hau ab!

 

Der Begriff Budō (jap. 武道, deutsch: „Militärweg, Kriegsweg“) bezieht sich formell auf alle japanischen Kampfkünste von  Aikidō über Sumo bis  Kyūdō. Verfolgt man jedoch den Weg zurück zum Ursprung der Kampfkünste, wird offenbar, dass man den Begriff Budō ausweiten muss, denn die traditionellen Kriegskünste der Japaner haben ihren Ursprung nicht nur in Japan oder Okinawa. Kampfkünste gibt es in jedem Land. Selbst das "richtige" Militär eines jeden Landes gehört perse dazu.

Dass der Mensch an sich danach trachtet, sich verteidigen zu müssen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Seit der Mensch den Gebrauch von Instrumenten (zunächst wohl Stöcke oder Schleudern) lernte, entwickelte sich die Fertigkeit, andere umzubringen, rapide. Wann genau die ersten chinesischen Mönche in Japan eintrafen und waffenlose Selbstverteidigung und z.B. den Stockkampf weitergaben, ist nicht exakt überliefert.  Aber wie in der menschlichen Natur fest verankert, werden als funktional geltende Dinge weiter perfektioniert. So erklären sich die vielen Formen der Kampfkunst, die heutzutage existieren.
 

Budō als philosophisch-spiritueller Ansatz ist eher schwierig zu beschreiben. Der Begriff wird allzu oft total glorifiziert und dient somit als geistige Krücke oder Argumentierhebel, um sich und / oder andere nicht mit realen Dingen auseinandersetzen zu müssen. „Das ist nicht Budō“ wird missbräuchlich und inflationär benutzt und ist dann nur noch eine leere Hülse. 
Budō als Weg des Kriegers dient allgemein eher als Oberbegriff für den arg strapazierten  Begriff  „Bushidō“, den ethisch-moralischen Kompass der Samurai. Den nicht immer alle eingehalten haben, beileibe nicht. Er wurde und wird ebenfalls hochgehalten und glorifiziert, dient aber in einer zusehends gottgleichgültigen Welt immer mehr Menschen als Richtlinie. Bushidō als Kodex der Krieger heranzuziehen, kann durchaus „Budō“ sein, doch in unserer heutigen Welt wird das zusehends schwieriger. Und wer kennt schon den kompletten 7-5-3-Code?
 

Wir dürfen den Ursprung nicht verkennen: Kampfkunst in den frühen Formen war Unterricht zum Töten! Effizienz war oberstes Gebot. Erst durch den Einfluss des Zen zu Beginn des 17. Jahrhundert erhielt die tödliche Kampfkunst seinen ethisch-moralischen Inhalt. So kam es, dass das „dō“ zu den Kampfkünsten hinzugefügt wurde, um zu beschreiben, dass das Erlernen einem Weg, bzw. einer Entwicklung gleichkommt. Niemand wird als Meister geboren. Das Prinzip des sich schließenden Kreises wurde hier offenbar. Auch die widersprüchlichen Triebe der Menschen kamen gnadenlos zum Vorschein. Einerseits der immense Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit, andererseits die von manchen Gesellschaftsschichten geforderte Unterordnung in bestehende Systeme, Gesetze und Regeln. Diese beiden Aspekte in Harmonie zu bringen, kann durch Budō gut gelingen, so man das will.


...wie man sieht, sind sie sehr verwandt!

...jedoch...  auch hier ist Raum für Interpretation und "eigene" Dinge. Mir persönlich ist Fairness extrem wichtig. Man kann sie in Höflichkeit, Etikette, Ehre und Loyalität integrieren, jedoch ist für mich der Stellenwert "Fairness" herausragenswert. Genauso wie Loyalität.
Loyalität... landläufig wird es allzu oft verwechselt mit Lehnstreue. Also eine einseitige Verpflichtung von unten nach oben. Der Bauer ist dem Lehnsherr loyal, da es sein Land ist, das der Bauer bestellt, Erträge erwirtschaftet und somit seine Familie ernährt. Natürlich ist der Bauer auch loyal dem Lehnsherr gegenüber. Aber steht der Lehnsherr ebenso in der Verpflichtung der Loyalität dem Bauern gegenüber? Selbstverständlich! Loyalität ist nicht gebunden an Stand, Geschlecht, Religion, Gesinnung, Bildung oder Hautfarbe!

Beispiel. Ein Lehnsherr erlaubt einem Bauern, sein Land zu bestellen. Zwei Jahre lang schuftet der Bauer und erzielt sogar Erträge. Dann zieht der Lehnsherr über Nacht in einen angrenzenden Staat. Der Bauer ist loyal. Er bestellt das Land Jahrein Jahraus und die Ertäge vervierfachen sich. Ab und zu kommt ein Bote des Lehnsherrn, und selten schaut er selbst in seinen Ländereien vorbei. Nach drei Jahren, der Bauer ist in der Blüte seines Schaffens, kommt der Lehnsherr und bringt einen Gesellen aus dem anderen Staat mit, der ab sofort mehr als die Hälfte des Landes bebauen soll. Dem tapferen, loyalen Bauern bleibt nur noch ein Drittel und das ist quasi nichts wert, weil der Ertrag nicht zum Leben reicht. Wer war jetzt nicht loyal?

Wenngleich hier vordergründig Loyalität erklärt werden soll, ist Fairness ein Halbbruder der Loyalität und beide wurden in gleicher Weise verletzt. Nun... dass der Bauer fortan einen eigenen Acker bestellt, aber der Geselle mit dieser Aufgabe, weil er halt keine bis kaum Erfahrung hat, vollkommen überfordert ist, scheint jedem klar. Das sind drei Schicksale plus anhängender Familien, das Renommee des Lehnsherrn, des Landes und des Königs, die der Lehnsherr hier unnötig verletzt hat.

In unserer westlichen Welt prägen viele Dinge das tägliche Leben. Durchsetzungskraft, Egoismus, ausufernde Egos, Überheblichkeit, Arroganz und natürlich der stärkste Trieb: Reproduktion. All diese Dinge bringen im Budō nicht weiter. Der erste Schritt wäre eine Selbstreflexion seines Ichs. Wer kann das schon? Wer bin ich? Diese Frage gilt es leidenschaftslos und vorurteilsfrei zu beantworten.

 

Ich habe mich entschieden, daran zu glauben, dass den alten Meistern diese Dinge bewusst waren. Mittels der Kampfkünste, des Mühens, des Strebens, des Quälens, der endlosen Wiederholung, des Schmerzes und der Verzweiflung der Übenden schwanden erstaunlicherweise viele Dinge. Bei den meisten Schülern zumindest. Angst vor dem Tod, vor dem Sterben an sich, vor dem Töten, all diese Dinge wurden blasser. Das war die angewandte Zen-Philosophie. Der Blick der Übenden richtete sich weg von den weltlichen Dingen und fokussierte sich auf sich selbst. Dadurch entstand eine natürliche Balance zwischen Anspruch und innerer Ruhe. Das ist die größte Errungenschaft des Begriffes „Budō“. 

So entstanden „Schwerter zu Pflugscharen“, beziehungsweise die Fähigkeiten der alten Krieger, die sie gegen ihre Feinde richteten, verinnerlichten sie zu einer Lebenskunst. Durch die Härte fanden die Schüler ihre Grenzen. Und gingen darüber hinaus. Dadurch vervollkommneten sie ihre Fähigkeiten weiter und weiter.


Zwei Meister betrachteten einst ihre Schüler.
Einer sagte: „Werden sie je werden, wie wir?“

„Nein. Wir sind, worüber sie hinauswachsen müssen“

 

Die Überwindung des Ich, die als die wichtigste Voraussetzung für den Weg gilt, kann er in der Übung lernen, sich selbst zu erkennen und als Mensch zu verwirklichen. Lehnt der Übende diese Bedingung jedoch ab und sucht stattdessen die bloße Formperfektion, nur den Wettkampf, die Graduierung oder Ruhm, wird er den Weg nicht erkennen. Die Arbeit an Disziplin und Ego sollte von einem guten, erfahrenen Meister gelenkt werden. In vollem Vertrauen und sinnvoller Übung kommt der Unerfahrene hin, selbst Meister zu werden. Der Weg hin zum „Budō“ birgt nicht selten Klippen, die es erfordern, Logik und Verstand auszukoppeln und nur dem reinen Gefühl zu vertrauen. An dieser Stelle sei dringend empfohlen, nicht darauf zu vertrauen, dass es den „einen“ Weg gibt, den Königsweg, die Universalanleitung. Das „dō“ ist immer ein individueller Weg. Shin – Gi – Tai (Geist, Körper, Technik) sollte hier in der Balance sein, ebenso wie "Ki Ken Tai Ichi" (Geist, Schwert, Körper), was wohl auf dasgleiche hinausläuft. 

 

Es gibt sicherlich adäquate Pendants. Soldaten werden nicht nur an der Waffe ausgebildet, sie werden auch in Werte und Normen unterrichtet, Staatsbürgerkunde und Gesetzestexten. Dies kann durchaus als „Budō“ gewertet werden, da viele der unterrichteten Themen mit Bushidō konform gehen. In den Dōjōs unterliegt es dem / der jeweiligen Sensei, die Schüler dort hinzuführen und selbst als Beispiel voranzugehen. Das würde u.a. Bedeuten, nicht nur physisches Training zu geben, sondern ebenfalls die charakterlichen Ansätze zu formen. Auf den Seminaren von z.B. Carlos Molina ist es grundsätzlich einbezogen, sich auf die Schulung des Charakters ebenso zu fokussieren, wie auf Technik und Fitness.  „Shin Gi Tai“, also Geist, Körper und Technik in Balance zu bringen, wird immer wieder gelehrt. Das Dōjōkun, Gōdōshin, etc sind wichtige Bausteine auf dem Weg eines Kriegers, die einzuhalten ihm empfohlen sind. Nachfolgend die Grafiken, die selbsterklärend sind.